„Draht-Ast-Zeichnung“, 2004, 400 x 380 x 350 cm, Astwerk und Draht, Installation Galleria Dora Diamanti, Rom, 2008
„Scultura illuminata“, 2008, 230 x 180 cm, Drahtgeflecht, Installation Stanza Maggiore, Palazzo dei Priori, Viterbo, Italien
Detail aus „Scultura illuminata“, 2008, 230 x 180 cm, Drahtgeflecht, Installation Stanza Maggiore, Palazzo dei Priori, Viterbo, Italien

Artist in Residence 2009

Susanne Kessler - In Bilico
Rauminstallation

Öffentliche Arbeitsphase vom 29. Juli bis 6. August 2009
zu den Öffnungszeiten der Galerie

Eröffnung der Ausstellung
am 7. August 2009 in der Zeit von 19.30 bis 21.30 Uhr
Die Künstlerin ist anwesend

Einführung: Nina Hartgenbusch M.  A.

Künstlergespräch und Finissage am 21. August, 19.30 Uhr;
dazu erscheint eine Dokumentation

Dauer der Ausstellung 7. bis 22. August 2009

Einladung
Nichtöffentliche Arbeitsphase
Pressemitteilung
Rezension WZ 30. 7. 2009
Dokumentation der Ausstellung

„Im Gehirn sehe ich den Ursprung für alles, was in der Welt entsteht und existiert, für alles Lebendige [...]. Das verknäulte Leben bleibt rätselhaft und explosiv, geheimnisvoll wie in einem Kokon.“
 
Susanne Kessler


Im Artist-in-Residence-Programm zeigt dieses Jahr Susanne Kessler eine Rauminstallation zum Thema „In der Schwebe“. Die Künstlerin steht in der Tradition der Malerei und Zeichnung, baut diese Gattungen jedoch in ihren Installationen aus und erweitert sie. Ihre Zeichnungen zeigen organische und polymorphe Formen, die an Nervenstränge, Gehirnstrukturen, Organe von Meerestieren wie Quallen, Muscheln oder andere wirbellose Tiere erinnern. Damit verbindet sie „den Ursprung für alles, was in der Welt entsteht und existiert, für alles Lebendige [...]. Das verknäulte Leben bleibt rätselhaft und explosiv, geheimnisvoll wie in einem Kokon.“
Während des Arbeitsprozesses entsteht etwas Neues, was man eine skulpturale Installation nennen könnte. Erst in der Arbeitsphase bildet sich die endgültige Form heraus. Hauptelement des Raumgebildes sind vom Hintergrund herausgelöste und versteifte Zeichnungen, die dadurch, dass sie auf vorgefertigte Gittergerüste, etwa aus Eisendraht, angebracht werden, an Dreidimensionalität gewinnen. Es entsteht ein Gesamtkunstwerk, das sich für den Besucher beim Durchschreiten bewegt und verändert. Der Besucher kann räumlich gewordene Zeichnungen durchschreiten, Zeichnungen, die zu Gebilden werden. Er tritt ein in ein Inneres, was ihn an Gehirnströme, Blutkreisläufe, Transmittersysteme erinnert. Er ist eingehüllt in innere Ströme und Linien, die sich in der Schwebe um ihn konzentrieren. Wie das menschliche Gehirn sind diese Kunstgebilde vielschichtig und assoziationsbereit; sie fangen in ihrem Netzwerk seine unterschiedlichsten Gedanken, seine „Hirngespinste“ ein. Da die einzelnen Elemente der Arbeit wenig Materialität besitzen, bleiben sie trotz der Schichtungen transparent und bieten immer wieder neue Durchblicke auf Dahinterliegendes. Die schwebend schwingenden Materialien verlebendigen den ganzen Raum. Das Prinzip der Vergänglichkeit und des Wandels wird zum Thema, denn immer ist die Installation – wie das Leben selbst – in Veränderung begriffen. Dieser Grundsatz setzt sich darin fort, dass die Installation als Ganzes vergänglich ist, denn sie ist unwiederholbar. Nur einzelne Elemente werden sich in späteren Projekten wieder finden, wie auch manche Zeichnung dieser Installation ältere Elemente sind und sich in dieser Installation erneuern.
Die im „Kabinett“ ausgestellten Wandreliefarbeiten sind dagegen in sich geschlossene, endgültige Kompositionen. Sie sind in Plexiglasboxen „eingefroren“. In diesen Zellen schweben energiegeladene Zeichnungsgeflechte in denen es nicht allein um organische Visionen geht, sondern auch um neuartige ornamental-kalligraphische Strukturformationen.


Nina Hartgenbusch M. A.


„Bleistiftrelief 1 bis 4“, jedes 93 x 46 x 17cm, Bleistift, Graphit, Sepiatusche auf Papier

„Synaptic Drawings“, 2007, Tusche auf Papier, Asphaltfarben auf Tuch, Kordel, Garn, Draht, verschiedene Eisenrahmen, Kunststoff- und Grasfasern , Installation Second Street Gallery, Charlottesville, VA, USA
„Die Tafel“, 2005, 600 x 120 x 140 cm, Eisentisch, Astwerk, Feindraht, Installation „Civico 8“, Courtesy Diamanti Contemporaray Art, Rom, 2008

In Bilico

Meinen Zeichnungen und Rauminstallationen der letzten Jahre liegen insbesondere das menschliche Gehirn zu Grunde, seine äußere Erscheinung sowie seine inneren übereinander liegenden Strukturen und Muster. Im Gehirn sehe ich den Ursprung für alles, was in der Welt entsteht und existiert, für alles Lebendige, vor allem auch des eigenen Ichs. Das verknäuelte Leben bleibt rätselhaft und explosiv, geheimnisvoll wie in einem Kokon.
Das organische Netzwerk des Hirns (dem nichts entwischt), versuche ich nachzubilden. Gedankenfragmente, Gedankenzüge werden eingebunden in ein zeichnerisches System, in ein Gewebe sich überlappender Muster.
Auch Impulse versuche ich zeichnerisch darzustellen und Bilder für koordinierte Funktionen und Formen für Projektionsbahnen bei Denkabläufen zu finden. Ich verarbeite wissenschaftliche Zeichnungen und verbinde sie in meiner Installation mit eigenen Assoziationen und Vorstellungen.
So gestalte ich Räume rein grafisch mit Zeichen und Symbolen. Kinetische Energien sollen den Raum durchfahren. Spannungen entstehen zwischen Überfülle - Anhäufungen, Auftürmungen, Verdichtungen von Strukturknäueln- und Leere, Innerlichem und Äußerlichem, Festem und Flüchtigem. Werden und Vergehen erfahrbar zu machen, ist ein Grundanliegen meiner Arbeit. Zum einen geht es darum, den Wandlungsprozess in einem naturähnlichem System mit naturähnlichen Symbolen darzustellen, zum anderen aber auch den künstlerischer Schaffensprozess in seiner Analogie zum Prinzip des Lebens zu verdeutlichen. Wie das Leben befindet sich auch die Arbeit in ständigem Wandel.
Beim Zeichnen  selbst versuche ich Bewegung einzufangen: „drawing on the run“.
Neu entstehende Zeichnungsserien werden in die jeweiligen Installationen eingebunden, um sie aus sich heraus zu erneuern.  So sind in meinen Installationen und Konstruktionen schon mehrere Bereiche der menschlichen und tierischen Anatomie eingeflossen, z. B. die Seh- und Hör- und Fortpflanzungsorgane von Menschen und Tieren, sowie der Knochenaufbau  verschiedener Lebewesen.
So wie man nicht zweimal in den gleichen Fluss eintaucht, wiederhole ich nie genau meine  Raumarbeiten. Da es keine festen Formen gibt, verändern sie sich von Land zu Land, Raum zu Raum, von Jahr zu Jahr. Die zeitlich begrenzte Existenz einer Installation mache ich mir zu Nutze, indem ich durch Zerstörung, Ortswechsel und Neuaufbau, die Thematik jedes Mal neu aufschließe, ihr etwas hinzufüge oder fortnehme. Das Konzeptuelle der Arbeit erfährt neue Raumbedingungen und Eigendynamiken von Orten und versinnbildlicht schon dadurch Evolution. Momentanes Fixieren, spontane Inventionen erzeugen Dualitäten: Ein Zulassen von Verfallsbereichen einerseits, sowie andererseits neue, aus sich heraus entstehende Systeme und Ordnungen im vermeintlichen Chaos. Irregularität im regulären Feld, aber auch reguläre Kompositionen in regulärer Form. Den Variationen von Bio-, Polymorphem, der Asymmetrie und Dynamik, dem Zulassen von fehlender Form sowie zugefügten Elementen sind keine Grenzen gesetzt. Ein häufig unterlegtes Raster kanalisiert lediglich die aufkommenden Energien und gibt dem Wachsen die nötige Struktur. In Ringen um die jeweils richtige Dynamik muss am Ende ein Raum entstehen, in dem man alles denken kann und sollte. Eine nach oben hin offene Schale, wie eine umgekehrte Schädeldecke, in der man aus Vorgeformten heraustreten kann.
Und anders herum: Die Einblicke in die tieferen Zonen und das nicht Überdecken des Aufbaugerüstes der Installation, empfinde ich als ein „archäologisches“ Konstrukt.
Sigmund Freud zog eine Parallele zwischen der Erforschung des Unbewußten und der Archäologie Roms. Er blickte auf Rom als Modell der Seele und der Konstruktion des Unbewußten. Als Künstlerin, die seit mehr als zwei Jahrzehnten in Rom lebt und arbeitet,  akzeptiere ich in diesem Sinne das Einwirken dieser mächtigen und dennoch fragilen Stadt auf mich und meine Thematik. Die Archäologie einer solchen Stadt hat für mich auch eine Parallele zur „Archäologie“ unseres Gehirns, des persönlichen Menschenarchivs.

Als Zeichnerin jedoch stehe ich in der Mitte zwischen den heutigen und den antiken Verhältnissen, zu beiden Seiten hin in gleicher Entfernung. Ich empfinde mich, sensibilisiert durch meine persönlichen Erfahrungen und als Künstlerin, die zumeist im Ausland unterwegs ist, als Gestalterin von  Zwischenräumen, die zwar oberflächlich ortsbeeinflusst aber innerlich unabhängig bleiben. Die in die Tiefe hinein transparent bleiben, aber nach oben hin offen sind. Wenn die Kunsthistorikerin Lisa Farrington von der Dualität meiner Arbeit spricht, so denke ich beschreibt sie diese Gratwanderung und Öffnung.


Susanne Kessler